Der dritte Artikel dieser Reihe über das Für und Wider deutscher Kampfdrohnen beschäftigt sich mit dem Hauptargument, das gegen den befürchteten Missbrauch dieses Waffensystems vertreten wird: Die deutsche Verantwortlichkeit.
Teil 1 kann man hier lesen, Teil 2 hier.
Die Bundeswehr ist nicht die CIA
Für den parlamentarischen Staatssekretär der Bundeswehr, Peter Tauber, ist in der „#Drohnendebatte2020“ die Frage der Teilbarkeit oder Unteilbarkeit der Menschlichkeit – also der Vermeidung ziviler Opfer – nicht primär eine technische oder völkerrechtliche, sondern eine Frage der staatlichen Regulierung und des Vertrauens in diese Regulierung. Mit dem Hinweis auf die deutsche „Parlamentsarmee“ und dem gebotenen Vertrauen in die Soldat*innen beantworten die Befürworter*innen – allen voran das BMVg – jeder Kritik an bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr.
Für die Parlamentsarmee, geschult im Völkerrecht und den „Prinzipien, die den Wert des Lebens generell thematisieren“¹, geht es demnach nur darum, dass der Bundestag einen Einsatz absegnet und Einsatzregeln („rules of engagement“) festlegt sind. Diese setzen den Rahmen für die militärischen Vorgesetzten und Soldat*innen, wenn sie vor Ort über den „Einsatz der Wirkmittel“ entscheiden.² Im Vergleich zu den USA würden deutsche Drohnen daher ausschließlich in Einsätzen verwendet, die die Bedingungen des Völkerrechts erfüllen. Drohnennpilot*innen würden stets am Einsatzort stationiert sein, um der kritisierten Abstraktion vom Kampfgeschehen entgegenzuwirken. Dazu sollen “Maßnahmen zur Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestaltung“, „Entlastungsphasen“, „psycho-edukative Schulungen“ oder „Präventivkurse“ die „psychische Fitness“ stärken, um die von US-Pilot*innen berichteten traumatischen Belastungen reduzieren.³ „Targeted killings“ ohne konkrete Bedrohung kämen nicht in Frage, wie überhaupt der Einsatz bewaffneter Drohnen außerhalb des vorgesehen Einsatzgebiets. Eine Vielzahl von Entscheidungsträgern würden sicherstellen, dass zivile Opfer – „soweit irgendwie möglich“ – verhindert würden. Neben den vom Parlament beschlossenen Rahmen und Verfahren, die eine unverhältnismäßigen Anwendung von Gewalt verhinderten, ginge es dann letztlich um Vertrauen:
„Vertrauen wir unseren Soldaten und Soldatinnen, dass sie auch mit einer bewaffneten Drohne als Option des militärischen Handelns nach klaren Einsatzregeln so verantwortungsvoll umgehen, wie sie das sonst auch tun?“ ⁴
Das Prinzip Hoffnung
Für die Befürworter*innen liegt die Antwort freilich auf der Hand. Wer nach dem Vertrauen fragt, kann nicht umhin, an die schrittweise Aufdeckung rechtsextremer Umtriebe und Zusammenhänge in Bundeswehr und Spezialkräften zu denken. Aber davon abgesehen: Geht es in der Drohnendebatte wirklich um das Vertrauen in einzelne, an Einsätzen beteiligten Soldat*innen, ob diese völkerrechtlich geschult sind oder nicht? Es waren ja gerade die unteren Ränge des Drohnenpersonal, die aus Gewissensbissen und/oder traumatischen Erfahrungen zu Whistleblowern über den Drohnenkrieg wurden.⁵
Geht es also, wie im Fall der rechtsextremen Zusammenhänge, nicht vielmehr um strukturelle Fragen der staatlichen Institution Bundeswehr als um die Integrität einzelner Soldat*innen? Vertrauen wir den höheren Entscheidungsstellen, den verantwortlichen Ministerien und den militärischen Entscheidungsketten, dass sie im Sinne der „Schutzbefohlenen“ handeln? Vertrauen wir darauf, dass sie im Zweifel ein wirkliches Interesse daran haben, Fehlentscheidungen aufzuklären und Konsequenzen zu ziehen? Wer legt die Einsatzregeln im „Eifer des Gefechts“ aus?
Entgegen der vielfach geäußerten Sicht, dass diese ganzen Punkte schon lange diskutiert worden seien und die erneute Verzögerung der Drohnenbewaffnung daher unverständlich machten, fehlen bisher konkrete Details darüber, wie bewaffnete Drohnen eingesetzt würden: Was sind die Grundlagen der genannten Einsatzregeln, wie lassen sie sich von außen beurteilen und im Einsatz einhalten? Wie genau muss der Einsatzrahmen durch ein Bundestagsmandat bestimmt sein, oder darf die Armee eigenständig entscheiden, wie und wo sie die Drohnen im konkreten Fall einsetzen? Drohen strafrechtliche Konsequenzen bei Fehlentscheidungen? Wie entscheidet die Drohne zwischen Kombattant und Zivilperson, und wie wird die Plausibilität solcher Entscheidungen gewährleistet? Findet eine nachträgliche Auswertung statt und werden diese Information offen gelegt?
Sobald nach solchen Details gefragt wird, fällt auf, wie ungern sich die Bundeswehr in diesen Punkten festlegen mag. Im maßgebenden Positionspapier des Bundesverteidigungsministeriums(BMVg), das sie als Ergebnis der „Drohnendebatte2020“ veröffentlichte, ist zu diesem Punkt wenig zu finden. Darin steht neben einer allgemeinen Definition davon, was Einsatzregeln sind, dass diese für jeden Einsatz unterschiedlichen Inhalt haben und dass sie im Rahmen des Völkerrechts liegen nichts Weiteres. Wer hier auf Konkretisierung und Transparenz hofft, wird schnell eines besseren belehrt:
„Um eine Gefährdung der Soldatinnen und Soldaten durch Gegner, die ihre Kampftaktiken auf Einsatzregeln abstimmen, zu vermeiden, werden Einsatzregeln grundsätzlich als Verschlusssache eingestuft.“⁶
Wenn konkrete Details von Einsatzregeln von Drohnen also grundsätzlich geheim gehalten werden, bleibt demnach nur das schlichte Vertrauen in die maßgeblichen Entscheidungsträger der Bundeswehr und staatlichen Kontrollinstanzen. Diese lassen sich nur mit Blick auf bisher gemachte Erfahrungen beurteilen. Zwei für die vorliegende Debatte wesentliche Beispiele sprechen nicht unbedingt dafür, dass die Einhaltung völkerrechtlicher Prinzipien für die Bundeswehr und Bundesregierung an höchster Stelle stehen. Angesprochen werden diese vom Völkerrechtler Peter Becker, der einzigen ablehnende Stimme unter den „Fachleuten“, der auf der Website der „Drohnendebatte2020“ zwar zu Wort kommt, aber im Abschlussbericht keine Erwähnung findet. Becker untermauert am ISAF-Einsatz der NATO in Afghanistan und am US-Drohnenkrieg, dass bisher wenig Interesse von Seiten der Bundeswehr und der Bundesregierung zu erkennen war, zur Aufklärung beizutragen, wenn die Einhaltung des Kriegsvölkerrecht mit deutscher Beteiligung im Zweifel stand. Im Folgenden wird dies genauer beschrieben.
"Ramstein ist absolut zentral im US-Drohnenprogramm. Alle Informationen und alle Daten gehen durch Ramstein. Für alle Operationen weltweit. Auch für die CIA-Einsätze."
Brandon Bryant, ehemaliger US-Drohnenpilot⁷
So sehr sich die Befürworter*innen bewaffneter Drohnen vom völkerrechtlich „zweifelhaften“ Vorgehen der USA im Drohnenkrieg zu distanzieren bemühen, so wenig hat sich seit mehr als einem Jahrzehnt an der indirekten Beteiligung der Bundesregierung an diesem Krieg etwas geändert. US-amerikanische „targeted killings“ und „signature strikes“ werden und wurden über Deutschland geführt, nämlich über den US-Stützpunkt Ramstein bei Kaiserslautern und über das AFRICON in Stuttgart. Es ist hinlänglich nachgewiesen, dass die Ramstein Air Base für den US-Drohnenkrieg in Jemen, Afghanistan und Pakistan unverzichtbar ist, und dass dies dem Auswärtigen Amt, dem BMVg und seit dem NSA-Untersuchungsausschuss von 2015 auch dem Bundestag bekannt war. Auch aus den Vorschriften zu „Battle Damage Assessments“ – d.h. eine Bewertung der Kampfschäden im Vergleich zu den beabsichtigen Zielen – im Rahmen des ISAF-Einsatzes in Afghanistan müssten der Bundesregierung die Opfer unter unbeteiligten „Schutzbefohlenen“ offen liegen. Satte 80 Prozent dieser Bewertungen sind nach Becker allerdings geheim geblieben, während Beobachtungen des Afghanistan Analyst Network zu dem Schluss kamen, dass 80 Prozent der zwischen 2009 und 2011 von US-Drohnen Getöteten nicht an Kampfhandlungen beteiligt gewesen waren.⁸ der indirekten Beteiligung an den Kollateralschäden von „gezielten Tötungen“ stand die Bundesrepublik sogar schon vor Gericht, angeklagt von jemenitischen Staatsbürgern, deren Familienmitglieder von US-Drohnen – über Ramstein koordiniert – getötet wurden. Das Oberverwaltungsgericht Münster bemerkte in seinem Urteil, dass selbst innerhalb bewaffneter Konflikte der Einsatz von Drohnen zur Bekämpfung des Terrorismus ein „erhebliches strukturelles Risiko“ berge, Zivilpersonen zu töten; dass wirksame amtliche Ermittlung durchgeführt werden müssten, und die BRD sich um konkrete Schutzmaßnahmen bemühen sollte.⁹ Die Bundesregierung scheint jedoch ihre Verantwortlichkeit letztlich abzustreiten. So kam Dieter Deiseroth, ehemaliger Richter am Bundesverwaltungsgericht, nach Stellungnahmen der Bundesregierung schon 2016 zu der Einschätzung:
„Im Klartext heißt dies, dass die Bundesregierung Aussagen zu ihrer eigenen Verantwortlichkeit für die Vorgänge auf der US-Airbase Ramstein im Rahmen der US-Drohneneinsätze ablehnt. Sie schließt freilich eine Völkerrechtswidrigkeit dieser Einsätze aber auch nicht aus und verweist insoweit zum einen auf eine jeweils erforderliche Prüfung des Einzelfalles, die sie aber nicht vornimmt, und zum anderen auf entsprechende Zusicherungen der US-Regierung, deren Überprüfung sie zugleich mangels hinreichender eigener Beurteilungskompetenz (»vermag ... nicht zu beurteilen«) ablehnt.“¹⁰
Obwohl das Verteidigungsministerium zu der genauen Regulierung von Drohneneinsätzen ausführt, dass in multinationalen Operationen nationale Vorbehalte die Einsatzregeln beschränken können, macht die Bundesregierung als „red card holder“ in Ramstein offenbar keinen Gebrauch davon und zieht sich darauf zurück, dass sie gar nicht die Kompetenzen zur Beurteilung der Einsätze besäßen. Würde die Bundesregierung alle Drohneneinsätze aufklären, an denen sie über ISAF oder Ramstein beteiligt war, wäre das Ergebnis niederschmetternd, so Becker:
„Wer so mit seiner völkerrechtlichen Verantwortlichkeit umgeht, ist meiner Meinung nach ungeeignet zur eigenen Drohnenkriegsführung. […] Das Prinzip Hoffnung dürfte für ‚konzeptionelle Grundlagen‘ [für deutsche bewaffnete Drohnen, Anm. d. Ver.] nicht reichen.“¹¹
Die Kunduz-Affäre
„Für uns gibt es keinen Unterschied zwischen den Taliban und den ausländischen Besatzungstruppen. Die Besatzungstruppen fragen uns genau so wenig wie die Taliban, und wir wissen nicht, wem sollen wir jetzt folgen, dieser oder der anderen Seite? Wir richten uns danach, was wir am nötigsten brauchen, etwas anderes bleibt uns gar nicht übrig.“¹²
Ein anderes Beispiel, welches sowohl die Grenzen von festgelegten Einsatzregeln zum Schutz der Zivilbevölkerung, der Aufarbeitung und der Rechenschaft aufzeigt, ist die sogenannte Kunduz-Affäre. In der Nähe des deutschen Stützpunktes in Kunduz, Afghanistan, wurden auf Anordnung des diensthabenden Oberst Klein zwei Tanklaster bombardiert. Diese waren von Taliban gekapert worden und blieben in der Nähe des deutschen Lagers stecken. Bewohner*innen der umliegenden Dörfer kamen um sich mit Benzin zu versorgen. Nach Luftaufklärung und der Bestätigung einer lokalen Quelle – beides von den Einsatzregeln vorgesehen – ,dass es sich bei der Menschenansammlung vermeintlich ausschließlich um Taliban handle, kam es zum Abwurf zweier Bomben, bei dem mehr als 140 Menschen starben, darunter mehrheitlich Zivilisten.
Verteidigungsminister Jung meldete den Angriff zunächst stolz als militärischen Erfolg und blieb dann trotz der am selben Tag aufkommender Zweifel – von Seiten des deutschen Rechtsberaters im Camp und der NATO – hartnäckig dabei, dass nur Taliban getötet wurden.¹³ Im Interview mit Marc Thörner sprach Jung von einer „gesicherten Information“ eines lokalen Informanten – die aber nicht offengelegt werden könnte – die bestätigte es seien „nur Taliban“ gewesen. „Gewissen Stufen“ hätten diese Information dann nochmal bestätigt.¹⁴ Einen Monat nach dem Angriff erschien ein NATO-Untersuchungsbericht, der aber geheim blieb, um vom BMVg ausgewertet zu werden. Noch einen Monat später war dann zwar nach Bewertung des Berichts eindeutig klar, dass mehrheitlich Zivilisten getötet wurden und Oberst Klein es nicht in erster Linie auf die Zerstörung der Fahrzeuge, sondern auf die vermeintlichen Taliban abgesehen hatte. Das BMVg blieb unter dem neuen Minister zu Guttenberg dennoch bei dem Schluss: „militärisch angemessen“. Noch einen Monat später kam nach Veröffentlichung des sogenannte Feldjägerbericht in den Medien die Kehrtwende: „nicht angemessen“¹⁵. Gegen Oberst Klein, der den Angriff befahl, wurde von der Staatsanwaltschaft kein Verfahren eingeleitet, weil er zurecht befürchtet habe, dass Taliban mit den Tanklastern das deutsche Lager angreifen würden. Der Bundesgerichtshof kam 2016 zu dem Schluss, dass kein Anspruch auf Schadensersatz bestehen würde, da die militärische Entscheidung völkerrechtlich zulässig gewesen sei.¹⁶ Der Fall ging bis vor das Bundesverfassungsgericht, welches die Einschätzung der Staatsanwaltschaft teilte, dass Klein keine Hinweise auf Zivilisten gehabt hätte und daher auch nicht verpflichtet war, „Warnhinweise“ zu geben, wie von US-Piloten vor dem Angriff vorgeschlagen wurden.6Im Urteil heißt es weiterhin, dass der Angriff selbst dann verhältnismäßig gewesen wäre, wenn Oberst Klein Hinweise auf Zivilisten gehabt hätte, entgegen des Untersuchungsberichts der NATO, nach denen gegen die Einsatzregeln verstoßen wurde. Später wurde Oberst Klein 2012 zum General befördert, was von einem Vertreter der Opfer als „Kriegserklärung“ bezeichnet und vom Bundeswehrverband begrüßt wurde¹⁷.
Reinhard Erös, ehemaliger Offizier der Bundeswehr, „Insider“ und zu der Zeit des Angriffs in Afghanistan als Entwicklungshelfer tätig, erklärt die Gründe für den Angriffsbefehl von Oberst Klein so:
„Der hatte als ‚kleiner Oberst‘ das Briefing in Potsdam bekommen: Kommen Sie ja nicht mit deutschen Leichen zurück. Was Sie bei Afghanen da, ich sag‘s mal jetzt recht ketzerisch, anrichten oder anstellen, also wenn Sie nicht gerade den Königspalast in Brand stecken oder den Präsidenten erschießen und so weiter – aber alles ein paar Ebenen drunter – ist sekundär im Vergleich zu toten deutschen Soldaten.“¹⁸
Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, dass es solche oder ähnliche Anweisungen an die befehlshabenden Posten im Afghanistan-Einsatz gab. Nicht nur die Bundeswehr, sondern allgemein die nationalstaatlich fundierte Institution Militär ist in erster Linie auf ihren Erhalt, ihren Ruf und ihre „eigenen“ Leute bedacht. Darin bestehen offensichtliche Parallelen zur (nicht-)Aufarbeitung von Polizeigewalt in Deutschland oder anderorts, wo es noch immer zu heißen scheint: Im Zweifel für den Täter, im Zweifel war die Gewalt angemessen.¹⁹
Egal ob es sich um Parlaments- oder Präsidentenarmee handelt: Die Erfahrungen mit militärischen Einsätzen der NATO-Staaten in den letzten zwei Jahrzehnten sprechen dafür, dass die Menschlichkeit in der Praxis des Krieges sehr unterschiedlich ausgelegt wird und dass dies den verteidigungspolitischen Verantwortlichen sehr wohl bewusst ist. Die Kunduz- und Ramstein-Affären geben einen Geschmack davon, wie wirksam die Regulierung der deutschen Parlamentsarmee, die Transparenz der Aufklärung und die völkerrechtlichen Integrität der Bundesregierung in den letzten Jahren war. In Kunduz gestehen selbst die höchsten deutschen Gerichte trotz gegenteiliger Erkenntnisse kein militärisches Fehlverhalten ein. Im Fall Ramstein wird zwar zu mehr Aufklärung gemahnt, die die Bundesregierung aber wegen fehlender Beurteilungskompetenz nicht durchführen möchte. Warum sollte all das bewaffneten Drohnen anders laufen? Zumal vom langjährigen Staatssekretär im BMVg Christian Schmitt schon 2013 die Diskussion in den Raum gestellt wurde, „ob das bestehende Kriegsvölkerrecht allen Nutzungsmöglichkeiten ferngesteuerter Flugzeuge entspricht, zum Beispiel dem gezielten Angriff außerhalb eines völkerrechtlichen Konfliktes.“²⁰'Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass auch in deutschen Regierungskreisen über die Notwendigkeit gezielter Tötungen außerhalb des gegenwärtigen Völkerrechts nachgedacht wurde.
Es wäre naiv zu glauben, dass auch hierzulande diese Überlegungen nach der Notwendigkeit „gezielter Tötungen“ außerhalb eines vom Parlament erklärten Krieges nicht der nächste Schritt wären. Erstens ist die BRD über Ramstein daran schon lange an solchen Operationen beteiligt, zweitens liegen die künftigen Einsatzszenarien der deutscher Bundeswehreinsätze genau in den völkerrechtlichen Graubereichen des asymmetrische Krieges gegen terroristische Bedrohungen. Bewaffnete Drohnen sind kein neutrales Wirkmittel, sondern eine Waffe, deren Besitz zu neuen militärischen Denk- und Handlungsmöglichkeiten einlädt. Es gibt keine Beweise, dass sie effektiver wären oder irgendwie „ethischer“ als andere Waffen.
Utopie militärischer Transparenz und die Bundestagswahl
Wer den Einsatz bewaffneter Drohnen also nicht in einer utopischen Welt der militärischen Transparenz, Regulierung, unteilbaren Menschlichkeit und „sauberen“ Wirkmittel diskutieren möchte, muss den Blick auf die tatsächlichen Erfahrungen deutscher Militäreinsätze und deren Auswirkungen für alle Beteiligten lenken. Das nüchtert den Blick und führt zu Fragen, die drängender scheinen als das Bewaffnen deutscher Drohnen – zum Beispiel, ob die vorherrschenden Strategien des militärischen Einsatzes gegen den Terrorismus oder islamistische Aufständische nicht wirkungslos oder gar kontra-produktiv sind? Eine kritische #Terrorismusdebatte2021 im BMVg scheint angebrachter, als mit „realpolitischem“ Pragmatismus über pazifistische Positionen herzuziehen.
Die anstehenden Wahlen zum Bundestag sind auch eine Wahl über die Ausrüstung der deutschen Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen. Der Wahlcheck auf dieser Website gibt eine gute Orientierung darüber, wie die Parteien sich zu dieser Frage positionieren. Keines der Argumente für die Notwendigkeit bewaffneter Drohnen kann schlüssig darlegen, wie diese die dazu beigetragen hätten die Ereignisse in Afghanistan im Sinne der dortigen Bevölkerung zu verbessern. Vielmehr zeigt sich aus der Erfahrung, dass bewaffnete Drohnen militärische Konflikte weder lösen, noch zu einem besseren Schutz der Zivilbevölkerung beitragen. Im Gegenteil:Der kürzliche US-Drohnenschlag in Kabul untermauert ein weiteres Mal, dass Zivilisten mehrheitlich das Leid ertragen müssen, das von dem „präzisen Wirkmittel“ bewaffnter Drohnen ausgeht.
Quellen & Anmerkungen:
[1] Tauber, Peter (2020): Drohnen-Debatte im Bundesministerium der Verteidigung. Ab 15:04. URL: https://www.bmvg.de/de/mediathek/drohnen-debatte-bmvg-begruessung-einfuehrung-durch-peter-tauber-256382. [Abgerufen am 20.04.20].
[2] Vgl. BMVg (2020:) Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung an den Deutschen Bundestag zur Debatte über eine mögliche Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr, S. 1. URL: https://www.bmvg.de/de/presse/drohnendebatte-bericht-bmvg-bundestag-274184. [Abgerufen am 20.04.21].
[3] Vgl. ebd., S. 14 und 15.
[4] Tauber, Peter (2020): Drohnen-Debatte im Bundesministerium der Verteidigung. Ab 15:04. URL: https://www.bmvg.de/de/mediathek/drohnen-debatte-bmvg-begruessung-einfuehrung-durch-peter-tauber-256382. [Abgerufen am 20.04.20].
[5] Vgl. Der Spiegel (2015): Brief an Obama: Ex-Piloten geben US-Drohnenkrieg Mitschuld an Terror. URL: https://www.spiegel.de/politik/ausland/drohnenkrieg-us-piloten-kritisieren-obama-in-offenem-brief-a-1063551.html. [Abgerufen am 20.04.21]. Siehe auch den Verweis auf die immanenten Mängel der Drohnenkriegsführung bei Becker, Peter (2020): Politische, ethische und rechtliche Aspekte. S. 18. URL: https://www.bmvg.de/resource/blob/256260/1ba3548af0a6ab1c30acc865258a4283/dl-dr-peter-becker-debatte-bewaffnete-drohnen-data.pdf. [Abgerufen am 20.04.21].
[6] Vgl. BMVg (2020:) Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung an den Deutschen Bundestag zur Debatte über eine mögliche Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr, S. 15. URL: https://www.bmvg.de/de/presse/drohnendebatte-bericht-bmvg-bundestag-274184. [Abgerufen am 20.04.21].
[7] Bryant, Brandon (2015): Interview mit Brandon Bryant. URL: https://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/Brandon-Bryant-Ramstein-ist-absolut-zentral,drohnen250.html. [Abgerufen am 20.04.21].
[8] Becker, Peter (2020): Politische, ethische und rechtliche Aspekte. S. 9. URL: https://www.bmvg.de/resource/blob/256260/1ba3548af0a6ab1c30acc865258a4283/dl-dr-peter-becker-debatte-bewaffnete-drohnen-data.pdf. [Abgerufen am 20.04.21].
[9] Vgl. ebd., S. 15.
[10] Deiseroth, Dieter (2017): Verstrickung der Airbase Ramstein in den globalen US-Drohnenkrieg und die deutsche Mitverantwortung. Zitiert aus Becker, Peter (2020): Politische, ethische und rechtliche Aspekte. S. 12. URL: https://www.bmvg.de/resource/blob/256260/1ba3548af0a6ab1c30acc865258a4283/dl-dr-peter-becker-debatte-bewaffnete-drohnen-data.pdf. [Abgerufen am 20.04.21].
[11] Becker, Peter (2020): Politische, ethische und rechtliche Aspekte. S. 12. URL: https://www.bmvg.de/resource/blob/256260/1ba3548af0a6ab1c30acc865258a4283/dl-dr-peter-becker-debatte-bewaffnete-drohnen-data.pdf. [Abgerufen am 20.04.21].
[12] Vgl. Thörner, Marc (2021): Deutschlands Einsatz in Afghanistan – der verlorene Frieden, Episode 3, ab 18:55. URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/deutschlands-einsatz-in-afghanistan-der-verlorene-frieden-3.3720.de.html?dram:article_id=490917. [Abgerufen am 20.04.21].
[13] Vgl. Lohse, Eckart (2009): Kriegsähnliche Zustände in Kundus und Berlin. https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-einsatz-kriegsaehnliche-zustaende-in-kundus-und-berlin-1592342-p3.html. [Abgerufen am 20.04.21]-
[14] Vgl. Thörner, Marc (2021): Deutschlands Einsatz in Afghanistan – der verlorene Frieden, Episode 3, ab 16:41. URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/deutschlands-einsatz-in-afghanistan-der-verlorene-frieden-3.3720.de.html?dram:article_id=490917. [Abgerufen am 20.04.21].
[15] Vgl. Lohse, Eckart (2009): Kriegsähnliche Zustände in Kundus und Berlin. https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-einsatz-kriegsaehnliche-zustaende-in-kundus-und-berlin-1592342-p3.html. [Abgerufen am 20.04.21].
[16] Vgl. Bundesgerichtshof (2016): Urteil vom 06.10.2016 – III ZR 140/15. https://www.kostenlose-urteile.de/BGH_III-ZR-14015_Kunduz-Keine-Anwendung-des-deutschen-Amtshaftungsrechts-auf-bewaffnete-Auslandseinsaetze-der-Bundeswehr.news23253.htm. [Abgerufen am 20.04.21].
[17] Vgl. Tageespiegel (2015): Kein Prozess gegen Oberst Klein wegen Luftangriff von Kundus. URL: https://www.tagesspiegel.de/politik/bundesverfassungsgericht-kein-prozess-gegen-oberst-klein-wegen-luftangriff-von-kundus/11942538.html. [Abgerufen am 20.04.21].
[18] Vgl. NTV (2012): "Beförderung ist Kriegserklärung". URL: https://www.n-tv.de/politik/Befoerderung-ist-Kriegserklaerung-article6926231.html. [Abgerufen am 20.04.21].
[19] Vgl. Thörner, Marc (2021): Deutschlands Einsatz in Afghanistan – der verlorene Frieden, Episode 3, ab 18:00. URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/deutschlands-einsatz-in-afghanistan-der-verlorene-frieden-3.3720.de.html?dram:article_id=490917. [Abgerufen am 20.04.21].
[20] Christian Schmitt im Interview mit der Zeit 2013. URL: https://www.zeit.de/2013/27/drohnen-krieg-regeln/seite-2. [Abgerufen am 20.04.21].