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Aktualisiert: 27. Apr. 2020



„Frankreich befindet sich im Krieg“¹ – das waren die Worte des ehemaligen französischen Präsidenten François Hollande wenige Tage nach den Terroranschlägen in Paris am 13. November 2015. Der damalige deutsche Präsident Joachim Gauck fand ähnliche Worte dazu: „Wir leben in Zeiten, in denen wir Opfer einer neuen Art von Krieg zu beklagen haben.“² Dass Politiker*innen heutzutage bei Terroranschlägen von Krieg sprechen, lässt sich wohl mit der Theorie über die „neuen Kriege“ des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler in Verbindung bringen, die sogar in den Sammelband über 100 Schlüsselwerke der Sozialwissenschaften aufgenommen wurde. Daneben ist Münkler nicht selten in ARD oder ZDF bei Fragen zu aktuellen Krisen und Konflikten zu sehen. Er macht in seinem Buch „Die neuen Kriege“, das 2002 im Rowohlt Verlag erschienen ist, einige Unterschiede von den sogenannten „neuen Kriegen“ zu zwischenstaatlichen Kriegen aus, die vor allem Europa in den letzten drei Jahrhunderten prägten. Ein erster, wichtiger Unterschied seien die Akteure des Krieges. An die Stelle der Staaten als kriegsführende Parteien würden in Kriegen des 21. Jahrhunderts vermehrt private Gewaltunternehmer*innen, Söldnerheere oder terroristische Netzwerke treten. Hier zieht Münkler Parallelen zur Kriegsführung in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs. Im Zusammenhang mit neuen Akteur*innen treten laut Münkler auch neue Ziele der Kriege auf, die vornehmlich als Kriege um des Krieges Willen geführt werden, d.h. möglichst lange, sodass die genannten Kriegsunternehmer*innen möglichst viel Gewinn aus ihnen schlagen können. Daran anschließend habe sich die Finanzierung der Kriege verändert; durch den Anschluss der Kriegsunternehmer*innen an den Weltmarkt in Form von Schmuggel, illegalem Rohstoff- und Waffenhandel etc. entstünde ein transnationales Netz verknüpfter Kriegswirtschaften, die sich gegenseitig am Leben erhalten.


Aber wozu führt dieser sehr weit gefasste Begriff der „neuen Kriege“, der von internationalen terroristischen Anschlägen bis zu innerstaatlichen ethnischen Konflikten reicht, in der Realpolitik? Am Beispiel des Terroranschlags in Paris 2015 sieht man, wie das Narrativ der „neuen Kriege“ vor allem mit militärischen Interventionen in Zusammenhang gebracht werden kann. Innerhalb weniger Stunden nach den Anschlägen in Paris folgte ein Angriff der französischen Luftwaffe auf die syrische Stadt Rakka.


Allerdings wurde Frankreich nicht von Syrien angegriffen, sondern von Attentätern, die sich als Mitglieder des „Islamischen Staats“ (IS) bezeichneten. Der IS kontrollierte zu diesem Zeitpunkt zwar einige Teile Syriens, war aber zu keiner Zeit als Staat mit eigenem Territorium anerkannt. Hätte das rechtsradikale Terrornetzwerk NSU auch Attentate auf französischem Boden verübt, wäre ich auf die Reaktionen Frankreichs gespannt gewesen. Zu einem Luftangriff auf deutsches Territorium, vielleicht auf Sachsen, wäre es aber wohl nicht gekommen. Durch die Bezeichnung eines Terroranschlags als Krieg oder als Angriff auf die Nation wird es für Frankreich ein­facher, Luftangriffe mit dem Selbstverteidigungsrecht zu rechtfertigen.


Durch das Narrativ der „neuen Kriege“ suchen Politiker*innen nach neuen Lösungen für diese Kriege, und so wird dann beispielsweise, wie nach den Anschlägen vom 11. September, ein „Krieg gegen den Terror“ geführt. Konkret bedeutet das militärische Angriffe auf Länder und Städte, in denen man islamistische Terroristen vermutet. Dass dabei unzählige Zivilist*innen sterben, ist die Schattenseite der Außen- und Sicherheitspolitik in Zeiten der „neuen Kriege“. Des Weiteren führen solche Interventionen, wie im „Krieg gegen den Terror“ unter amerikanischer Leitung deutlich wurde, nicht unbedingt dazu, dass Terrororganisationen tatsächlich ausgelöscht werden. Heute ist klar, dass Al-Qaida vielleicht geschwächt wurde, dennoch bildeten sich neue, mächtigere Organisationen wie der IS. Außerdem sorgt das Kriegsnarrativ in europäischen Gesellschaften für eine Verstärkung von Rassismus und Diskriminierung. Unter Generalverdacht, Angriffe auf westliche Gesellschaften zu verüben, stehen mehr oder weniger alle Menschen – vor allem Männer – mit arabischem Aus­sehen, was durch das von der Polizei durchgeführte racial profiling Einzug in das alltägliche Leben hält.


Die Reaktionen auf die Pariser Terroranschläge zeigen, dass es an der Zeit ist, die Kriegsrhetorik dieser Tage noch einmal zu überdenken.

 

Quellen:

1 https://www.svz.de/deutschland-welt/politik/wir-befinden-uns-im-krieg-id11218871.html.

2 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/anschlaege-in-paris-gauck-spricht-von-neuer-art-von-krieg-a-1062921.html.


Weiterführende Literatur:

Chojnacki, Sven/ Namberger, Fabian: „Die ‚neuen Kriege’ im Spiegel postkolonialer Theorien und kritischer Friedensforschung. Ein Plädoyer für die Befreiung von der Last der Vereinfachung“. In: Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung 3:2, 157-202.

Münkler, Herfried: Die Neuen Kriege [2002]. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2014.


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Die Problematik der „neuen Kriege“

Von Hannah Schäfer
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